Main-Campus-Stipendiatenwerk

Resilienz dank Sicherheits­gefühl

11. Juli 2023, von Jens-Ekkehard Bernerth. Fotos: Jochen Kratschmer

In den Räumlichkeiten ist es stockdunkel, die Sicht durch den Rauch eingeschränkt. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.

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Resilienz ist das Schwerpunkthema der aktuellen Main-Campus-Generation. Beim Besuch des Feuerwehr- und Rettungstrainingscenter der Feuerwehr Frankfurt konnten sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten einen Eindruck davon verschaffen, wie Einsatzkräfte dank umfangreichen Trainings und blitzschneller Reaktionszeit zur Bildung von Resilienz beitragen.

Es ist dunkel im Treppenhaus. Keine Deckenleuchten, nur Wandspots illuminieren schwach die Betonstufen. Ansonsten herrscht pure Dunkelheit. Funksprüche hallen durch das schwarze Nichts: Es sind zwei Feuerwehrteams, jeweils bestehend aus zwei Personen; rasch nehmen sie die Stufen nach oben, sprechen sich dabei ab, wie sie die Durchsuchung des Gebäudekomplexes koordinieren.

Es geht schließlich um Leben und Tod – theoretisch zumindest.

Denn das siebengeschossige Mehrfamilienhaus befindet sich in der imposanten Simulations- und Übungshalle auf dem Feuerwehr- und Rettungs-Trainings-Center der Feuerwehr Frankfurt. Auf 1000 Quadratmetern können sich die Angehörigen der Berufs- und Freiwilligen Feuerwehr in der ausladenden, meterhohen Halle auf den Ernstfall vorbereiten. Diverse Szenarien können nachgestellt werden, damit im Ernstfall nicht 50 bis 180 Kilogramm schwere Puppen, sondern echte Menschen aus Notsituationen gerettet werden können.

Die Einsatzkräfte gehen aber auch die Übungseinheit mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Respekt an. Jeder Handgriff wurde bereits hundertfach durchgeführt, Abläufe durch stete Wiederholung geschliffen und eingeprägt. Schon bevor das "Angriffstrupp" genannte Team die Stufen des Treppenhauses mit dem langen Nylon-Schlauch nach oben eilt, wurde gemeinsam die acht Meter hohe Leiter zusammengesteckt, das Steigrohr vom "Wassertrupp" mit den mehrteiligen Anschlüssen verbunden und die Schläuche in Position gebracht.

"Drei tiefe Atemzüge voller CO2 reichen, um das Leben zu kosten", erklärt Stefan Cornel von der Feuerwehr Frankfurt den anwesenden Gästen im Treppenhaus, die sich an die Wände drücken, um den Übungseinsatz nicht zu stören. "Einen Lappen vor den Mund zu halten, bringt da auch nichts", so der Feuerwehrmann weiter. Cornel fungiert an diesem Tag nicht nur als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, sondern als Gastgeber. Denn die zehnte Generation des Main-Campus-Stipendiatenwerks begeht ihr Auftaktseminar zum Thema "Krisenresiliente Stadt" auf dem Gelände der Feuerwehr Frankfurt. Cornel und sein Kollege Sven Bodemann vom Kreisfeuerwehrverband erklären den rund 30 Anwesenden, was die Kolleginnen und Kollegen da in nächster Nähe im Treppenhaus eigentlich machen.

Stefan Cornel von der Freiwilligen Feuerwehr Frankfurt begrüßt die Kollegiatinnen und Kollegiaten.
Stefan Cornel von der Freiwilligen Feuerwehr Frankfurt begrüßt die Kollegiatinnen und Kollegiaten. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Die Anwesenden hören gebannt dem Vortrag von Herrn Spreiter zu.
Die Anwesenden hören gebannt dem Vortrag von Herrn Spreiter zu. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Die Einsatzcrew ist in der Übungshalle eingetroffen und beginnt gleich mit dem Einsatz. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Die Einsatzcrew ist in der Übungshalle eingetroffen und beginnt gleich mit dem Einsatz. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Die Dimensionen der Halle sind gigantisch. Gut versteckt hinter dem Einsatzfahrzeug: Die vermutlich letzte Schlecker-Filiale Deutschlands.  Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Die Dimensionen der Halle sind gigantisch. Gut versteckt hinter dem Einsatzfahrzeug: Die vermutlich letzte Schlecker-Filiale Deutschlands. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Der Schlauch ist montiert, los geht es hinein ins brennende Gebäude.  Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Der Schlauch ist montiert, los geht es hinein ins brennende Gebäude. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Der Wassertrupp wartet auf das Go. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Der Wassertrupp wartet auf das Go. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Im Innern dominiert Dunkelheit - und Rauch. Stefan Cornel kennt sich in solchen Umgebungen bestens aus und erläutert die Situation. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Im Innern dominiert Dunkelheit - und Rauch. Stefan Cornel kennt sich in solchen Umgebungen bestens aus und erläutert die Situation. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Der Schlauch ist gelegt, gleich füllt er sich schlagartig mit Wasser. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Der Schlauch ist gelegt, gleich füllt er sich schlagartig mit Wasser. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Der Bergungstrupp agiert auf engstem Raum, die Stipendiatinnen und Stipendiaten schauen gebannt zu. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Der Bergungstrupp agiert auf engstem Raum, die Stipendiatinnen und Stipendiaten schauen gebannt zu. Foto: SPTG/Jochen Kratschmer.
Der Blick von oben in die Halle. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.
Der Blick von oben in die Halle. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.
Zum Ende des Einsatzes geht es nochmal zurück in die Halle. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.
Zum Ende des Einsatzes geht es nochmal zurück in die Halle. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.
Nach dem Einsatz - im Hintergrund ist die Übungshalle - folgte noch ein Rundgang über das weitläufige Gelände. Denn neben der Übungshalle für Brand- und Höhenrettungseinsätze bietet das FRTC noch ein besonderes Schmankerl. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.
Nach dem Einsatz - im Hintergrund ist die Übungshalle - folgte noch ein Rundgang über das weitläufige Gelände. Denn neben der Übungshalle für Brand- und Höhenrettungseinsätze bietet das FRTC noch ein besonderes Schmankerl. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.
Die "Haltestelle Hauptwache" ist eine liebevolle Nachstellung einer echten Frankfurter U-Bahnhaltestelle. Inklusive Fahrkartenautomat und natürlich einer ausrangierten U-Bahn, mit der Untergrund-Bergungseinsätze geübt werden. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.
Die "Haltestelle Hauptwache" ist eine liebevolle Nachstellung einer echten Frankfurter U-Bahnhaltestelle. Inklusive Fahrkartenautomat und natürlich einer ausrangierten U-Bahn, mit der Untergrund-Bergungseinsätze geübt werden. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.
Die Gäste lauschen Stefan Cornels Erläuterungen. Zuvor haben sie neugierig die Bahn erforscht und Fotos gemacht. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.
Die Gäste lauschen Stefan Cornels Erläuterungen. Zuvor haben sie neugierig die Bahn erforscht und Fotos gemacht. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.
Beim abschließenden Plausch tauschen sich die Einsatzkräfte - dieses Mal ohne schwere Ausrüstung - mit den Stipendiatinnen und Stipendiaten aus. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.
Beim abschließenden Plausch tauschen sich die Einsatzkräfte - dieses Mal ohne schwere Ausrüstung - mit den Stipendiatinnen und Stipendiaten aus. Foto: SPTG/Jochen_Kratschmer.

"Als nächstes setzen die Kollegen den Rauchvorhang", erläutert Bodemann. Damit wird vermieden, dass sich Rauch unkontrolliert im Treppenhaus ausbreitet und der Fluchtweg dadurch zur tödlichen Gefahr wird. Mittlerweile heißt es unten: "Wasser marsch!" Der Schlauch, der zuvor schlaff durch das Treppenhaus in den dritten Stock getragen wurde, füllt sich nach Erreichen der Rauchgrenze schlagartig mit Wasser. Die anwesenden Stipendiatinnen und Stipendiaten müssen darauf achten, weder von dem kräftigen Nylonverbund getroffen zu werden noch über ihn zu stolpern. Herr Cornel und sein Kollege Bodemann steigen hingegen mit lässiger Eleganz über das zuckende Textilwerk, sie sind durch jahrelange Erfahrung gut geschult.

Beim Durchkämmen des Hauses teilen sich die Teams auf. "Es gibt zwei Ziele: Personen zu finden – und die Brandursache", erläutern Cornel und Bodemann. Rasch bewegen sich die Kollegen auf Knien durch die stockfinsteren, in Nebelschwaden gehüllte Räume, machen mit lauten Klopfgeräuschen und Rufen auf sich aufmerksam, damit Personen, die in Not sind, merken, dass Rettungskräfte präsent sind. Sie geben beständig Rückmeldung über den Fortschritt des Einsatzes und die nächsten Schritte. Unterstützt werden sie dabei nur von kleinen, dafür lichtstarken Taschenlampen, deren Kegel bei jeder Bewegung wild durch die nebelverhangenen Räume tanzen.

"So ein Einsatz ist per se schon anstrengend. Der Schlauch, das Gewicht der Ausrüstung, die Anspannung… und wenn dann noch eine Atemschutzmaske obendrauf kommt, geht es erst recht an die Substanz, da sich damit erheblich schlechter Luft holen lässt", gibt Cornel zu bedenken. Das gilt vor allem, wenn Menschen in Not transportiert werden müssen. Plötzlich ist das genau der Fall: Ein Team hat eine Puppe gefunden. Einer vorne, einer hinten, bringen die beiden Angehörigen der Feuerwehr die Puppe in Not aus der Gefahrenzone in Sicherheit.

Das Prozedere bei einem Einsatz ist stets gleich, wie Stefan Cornel erklärt: "Nach dem Wählen der 112 erfolgt an 24 Stunden am Tag innerhalb von zehn Minuten nach dem Anruf eine Hilfeleistung – entweder durch die Berufs- oder die Freiwillige Feuerwehr“, so Cornel. "In Hessen gibt es 2450 Freiwillige Feuerwehren, 95 Prozent der Gefahrenabwehr basiert auf dem Ehrenamt. Diese flächendeckende Ehrenamtlichkeit, mit einer Hilfsfrist von zehn Minuten in Hessen, ist eine unglaubliche Stärke in ganz Deutschland."

In Frankfurt ist dabei nicht ersichtlich, ob die Freiwillige oder die Berufsfeuerwehr anrückt. Es macht auch keinen Unterschied, da beide Einrichtungen identisch aus- und weitergebildet werden – eben am FRTC im Frankfurter Nordend, wo die Übung allmählich zum Ende kommt. Die Brandursache wurde gefunden und gelöscht, alle Personen in Not gerettet und aus dem Gebäude geschafft. Und auch die Stipendiatinnen und Stipendiaten von Main-Campus sind ohne Kratzer und Prellungen aus dem dunklen Treppenhaus gekommen, in dem noch vor wenigen Minuten so eindrucksvoll demonstriert wurde, wie Resilienz in einer Gesellschaft durch eine fundierte und schnell einsatzbereite Gefahrenabwehr aufgebaut werden kann.

Einführungsvortrag von Elias Spreiter zum Thema "Krisenresiliente Stadt"
zusammengefasst von Nathan Haux

"Eine Stadt ist ein soziales System, das in einem geographischen Raum organisiert ist und Infrastruktur bereitstellt. Eine Stadt lässt sich planen, erschafft sich aber selbst durch die Menschen, die in ihr leben und arbeiten. Die Fähigkeit einer Stadt, kritische Wendepunkte – Krisen -  zu bewältigen, beruht auf persönlichen, sozialen und infrastrukturellen Ressourcen.

Krisen sind entscheidende Situationen, die einen Höhepunkt oder Wendepunkt in einer gefährlichen Konfliktentwicklung darstellen. Sie werden oft fälschlicherweise mit Katastrophen gleichgesetzt, die jedoch bereits ein Unglücksereignis bedeuten während eine Krise zunächst nur eine (wichtige) Entscheidungssituation beschreibt. Eine Katastrophe zieht somit i. d. R. Krisen nach sich, nicht oder unzureichende Krisen können zu Katastrophen führen. Es gibt grundsätzlich  drei Arten von Krisen: plötzliche Krisen, bei denen bereits ein Schaden eingetreten ist und eine sofortige Reaktion erforderlich ist; köchelnde Krisen, bei denen Vorwarnungen und verschiedene Faktoren zu einer Kumulation führen; und schleichende Krisen, die sich unbemerkt entwickeln.

Die Resilienz einer Stadt in Krisenzeiten ist von großer Bedeutung. Resilienz bezieht sich auf die Fähigkeit zur Wiederherstellung und geht über die bloße Widerstandskraft (Resistenz) hinaus. Eine resiliente Stadt ist in der Lage, die Auswirkungen von Katastrophen zu bewältigen und sich zu erholen. Dabei wird die Verletzlichkeit einer Stadt durch ihre Abhängigkeit von bestimmten Faktoren erhöht, wobei das „vulnerability paradox“ besagt, dass je verfügbarer die Struktur ist, desto gravierender die Auswirkungen von Störungen sind. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die kritische Infrastruktur, die für das Funktionieren wichtiger gesellschaftlicher Bereiche, der Gesundheit, Sicherheit und des wirtschaftlichen Wohlergehens der Bevölkerung von wesentlicher Bedeutung ist.

Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) spielen eine wichtige Rolle bei der Krisenbewältigung. Sie sind überwiegend ehrenamtlich tätig, verfügen über vielfältige Einsatzmittel und stehen rund um die Uhr zur Verfügung. Allerdings können sie nicht die vollständige Versorgung mit Grundlebensressourcen wie Strom, Heizung und Nahrung gewährleisten. Jeder Einzelne ist daher in der Verantwortung, notwendige Vorräte anzulegen und Vorkehrungen zu treffen.

Eine aktuelle Überprüfung der Versorgungslage in Deutschland zeigt, dass diese teilweise unzureichend ist. Ein Großteil der befragten Kreise verfügt nicht über ausreichende Notstromsysteme, Trinkwasserbrunnen und Anlaufstellen für die Zivilbevölkerung. Es ist daher wichtig, dass die Menschen sich gegenseitig helfen und unterstützen sowie eigene Vorsorge treffen.

Naturkatastrophen nehmen tendenziell zu, insbesondere aufgrund klimainduzierter Veränderungen. Überhitzung in städtischen Gebieten stellt dabei u.a. eine besondere Herausforderung dar. Um krisenresilient zu sein, benötigt eine Stadt nicht nur eine robuste Infrastruktur, sondern vor allem die Fähigkeiten ihrer Bewohnerinnen und Bewohner. Eine "smarte Stadtgesellschaft" ist in der Lage, Krisen mithilfe persönlicher und sozial vermittelter Ressourcen zu bewältigen und sie als Anlass für Entwicklung zu nutzen. Dazu einen Beitrag zu leisten ist auch der Gedanke dieses Seminares.

Um die Resilienz einer Stadt zu verbessern, sollten Maßnahmen ergriffen werden, die auf die gesamte Gesellschaft abzielen. Dazu gehören die Förderung von Solidarität und Kooperation, ehrliche Kommunikation, die Schaffung einer Risiko- und Fehlerkultur sowie die Stärkung der individuellen Fähigkeiten. Es ist wichtig, dass Menschen in Krisensituationen lernen, Entscheidungen zu treffen und ihre eigenen Ressourcen einzusetzen.

Für weitere Informationen zu Anlaufstellen im Krisenfall ist folgender Link empfehlenswert: https://fwffm.info/karte“

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