Sonderveranstaltung »Friedensarbeit in Israel und Palästina: Was ist künftig noch möglich?«

Ein Appell für mehr Menschlichkeit und Empathie

30. April 2024, von Jens-Ekkehard Bernerth, Elisabeth Brachmann, Axel Braun

Das Schauspiel war sehr gut besucht bei der Veranstaltung "Wie wieder Frieden". Foto: Stiftung Polytechnische Gesellschaft/Elisabeth Brachmann

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Der Krieg in Nahost sorgt weltweit für Spannungen. Auch in Frankfurt am Main stehen sich immer wieder Vertreterinnen und Vertreter beider Seiten konfrontativ gegenüber. Wie kann es gelingen, dass beide Seiten miteinander ins Gespräch kommen, sich zuhören, eine Verhärtung aufgeweicht wird? Einen Schritt in diese Richtung zeigte eine Sonderveranstaltung der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, der Polytechnischen Gesellschaft e. V. und der Bildungsstätte Anne Frank Ende April im Schauspiel Frankfurt. Rund 600 Schülerinnen und Schüler aus Frankfurter Schulen kamen im großen Saal des Schauspiel zusammen, um sich abseits von reißerischen Thesen und einseitigen Meinungen ein eigenes und differenziertes Bild von der Lage in Nahost und seinen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt – auch und gerade in Frankfurt am Main – zu machen.

Schon mit der Begrüßungsrede von Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, wird klar, was die Schülerinnen und Schüler von 15 Frankfurter Bildungseinrichtungen in den nächsten zwei Stunden erwartet: persönliche Eindrücke, Appelle für Empathie und eine Abkehr von der (verbalen) Hass- und Gewaltspirale, deren Auswirkungen sich auch in der Zivilgesellschaft niederzuschlagen drohen. „Lasst uns Bilder des gesellschaftlichen Zusammenhalts, des Gelingens hier vor Ort, jenen entgegenhalten, die uns aus dem Nahen Osten den Schlaf rauben. Das ist vielleicht unsere einzige Chance, die Menschlichkeit am Leben zu lassen. Wenn ich mir für heute was wünschen darf: dass wir als mitfühlende Menschen am Ende dieser Veranstaltung auseinandergehen werden“, formuliert Dievernich seinen Wunsch an die jungen Leute im Raum.

In ähnliche Richtung argumentieren auch die O-Töne der ZDF-Dokumentation "Rückkehr nach Israel. Wenn der Krieg die Heimat zerreißt". In dem Beitrag begleitet ZDF-Reporterin Jenifer Girke den Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, Prof. Dr. Meron Mendel, auf einer Reise in sein Geburtsland Israel nach dem Terroranschlag am 7. Oktober 2023. Anstelle von Racheschwüren präsentiert die Dokumentation Plädoyers für Versöhnung, für Bildung und ein friedliches Miteinander von arabischen und jüdischen Israelis – darunter auch Menschen, die bei dem Angriff Familienangehörige oder Freunde verloren haben. Ein eindrücklicher Auftakt mit viel Konsens, der sich auch im anschließenden Podiumsgespräch wiederfindet.

Es folgen starke Beiträge, in denen die Beteiligten ihre Erlebnisse und ihre ganz persönliche Sicht der Dinge mit den Schülerinnen und Schülern teilen. Aladin Atalla aus Marburg, deutscher Softwareentwickler mit palästinensischen Wurzeln, erachtet es für unbedingt notwendig, dass der Konflikt schnellstens beendet und ein friedliches Miteinander statt Blutvergießen Einzug hält. Atalla hat bei den Vergeltungsschlägen Israels auf Gaza bereits über 50 Familienangehörige verloren, weitere befinden sich noch immer in Lebensgefahr. Meron Mendel plädiert in der Runde für ein gemeinsames Aufwachsen von palästinensischen und israelischen Kindern, damit Verständnis und Empathie für die jeweils andere Kultur sich wie von selbst entwickeln, und nicht erst tiefe Gräben und Vorurteile entstehen, die überwunden werden müssen. Eine Einstellung, die von David Langer geteilt wird. Langer arbeitete für drei Monate als Freiwilliger an der jüdisch-arabischen Hagar-Schule in Be‘er Sheva, eine der wenigen Schulen in Israel, in denen israelische und arabische Kinder gemeinsam aufwachsen und unterrichtet werden. Ahmad Dakhnous, Student der Politik-, Wirtschafts- und Erziehungswissenschaften palästinensischer Herkunft, setzt auf Dialog und das Abbauen von Vorurteilen – er engagiert sich im Projekt „Drialog“ von Transaidency e. V. und ist fest überzeugt, dass es in diesen schwierigen Zeiten besonders wichtig ist, in den Dialog zu gehen und durch Bezüge und Perspektiven den Nahostkonflikt ein wenig versachlichen zu können. Donja Banai, stellvertretende Vorsitzende des Freundeskreises Givat Haviva Deutschland e. V., wünscht sich, dass Menschen, die von dem Konflikt direkt betroffen sind, in der öffentlichen Debatte mehr Raum und Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Besonnenheit statt Wut

Das Auditorium lauscht gebannt den Ausführungen auf der Bühne. Sie erleben, wie ein Konflikt, der seit Jahrzehnten wütet und der unzählige Opfer fordert, keine aggressiven, menschenfeindlichen Äußerungen, keine vorschnellen Urteile und keinen Fingerzeig auf die andere Seite hervorbringt. Stattdessen präsentiert das Podium Besonnenheit und Mitgefühl als gemeinsame oberste Maxime. Alle Beteiligten betonen ausdrücklich, dass Menschlichkeit, Empathie und ein respektvolles Miteinander der einzige Weg sind, um Völkerverständigung und somit ein Ende des jahrzehntelangen Konflikts zu erreichen. Und dass man über diesen Konflikt, in all seiner Komplexität, reden kann, wenn gegenseitige Akzeptanz und Respekt füreinander den Rahmen vorgeben. Einen würdigen und sachlichen Rahmen bot dann auch die Moderatorin der Veranstaltung, Rosemarie Tuchel von hr2 kultur.

"Diese Veranstaltung war ein großes Ausrufezeichen, wie es auch gehen kann: Betroffene beider Seiten, jenseits unterschiedlicher religiöser, kultureller sowie politischer Perspektiven, können zusammenfinden, aufeinander zugehen", fasst Dievernich seine Eindrücke der Veranstaltung als Resümee zusammen. "Nötig dafür ist eine Basis, die auf Empathie und Menschlichkeit beruht. Denn nur mit Bildung, Mitgefühl und dem Dialog über das Menschsein kann eine Gesellschaft in Frieden existieren, mit gemeinsam gelebten Grundwerten. Sich darauf zu besinnen ist wichtig – die Veranstaltung hat genau diesen Raum für die Besinnung gegeben. Respekt vor den fast 600 Jugendlichen, die daran mitgewirkt haben. Die heutige Veranstaltung war im Kleinen ein Beispiel, wie es im Großen hoffentlich eines Tages sein wird."

Über die Sonderreihe "Wie wieder Frieden?"

Am 15. April 2024 veranstaltete die Polytechnische Gesellschaft eine Podiumsdiskussion (Website der PTG) zum Thema „Religion, Identität, Konfrontation – Was können Christen, Muslime und Juden in Frankfurt tun“, bei der vier Vertreter der großen religiösen Akademien auf dem Podium diskutierten. Am 29. April folgte der Themenabend (Website der PTG) „Konfrontation ohne Ende? Wege aus dem Konflikt im Nahen Osten“ in der Evangelischen Akademie mit Prof. Dr. Nicole Deitelhoff (Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt), Prof. Dr. Peter Neumann (King's College) und Dr. Susanne Wasum-Rainer (frühere Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland in Israel), moderiert von Prof. Dr. Meron Mendel.